Krieg und Frieden

Der Beginn des Ersten Weltkrieges beendete jede Bautätigkeit der drei Ulmer Baugenossenschaften. Nur die nötigsten Instandhaltungsmaßnahmen konnten in dieser Zeit beauftragt werden. Mit fortschreitender Dauer des Krieges führten die Genossenschaften strenge Sparmaßnahmen ein. In der Blauflesch waren etwa Wohnungsinstandsetzungen durch die Mieter selbst zu tragen. Die Ulmer Baugenossenschaft sah sich gezwungen, die Miete um über 60 % von 70 auf 110 Mark zu erhöhen. Zusätzlich sollten die Hausbesitzer nun für die Kosten der Verwaltung herangezogen werden.

Die Kämpfe in den Schützengräben forderten auch unter den Mitgliedern Opfer. Mehr als ein Dutzend Männer fielen. Erstaunlich war, dass der Vorstand des Spar- und Bauvereins bereits 1915 die Folgen einer möglichen Niederlage diskutierte. Im Laufe des Jahres 1918 war diese dann nicht mehr abzuwenden. Bereits am 28. Mai kam es auch in Ulm zu Unruhen. Mit der Abdankung des deutschen Kaisers und der Proklamation der Republik durch Friedrich Ebert endete am 9. November 1918 die Ära der Monarchie in Deutschland. Eine Zeitenwende.

Der Krieg hatte das Land an den Abgrund geführt. Eine ganze Generation war in den Schützengräben zugrunde gegangen und das Volk hungerte. Die von der Front zurückkehrenden Soldaten waren physisch und psychisch gezeichnet. Ein Millionenheer, das in eine verunsicherte Gesellschaft integriert werden musste. In dieser Situation reifte unter den Arbeitern der Gedanke, eine eigene Baugenossenschaft zu gründen, um gezielt den eigenen Nöten Linderung zu verschaffen. Der Lokomotivführer Johannes Botzenhardt und SPD-Stadtrat Josef Hefele waren die Köpfe dieser Initiative. Er lud am 29. Juni 1919 in die Gaststätte „Zum alten Hasen" in der Frauenstraße zur Gründungsversammlung der „Ulmer Heimstättenkolonie" ein.

Die nun vier Ulmer Baugenossenschaften leisteten unter widrigen Umständen einen engagierten und wichtigen Beitrag zum Frieden innerhalb der Stadt. Die sich mehr und mehr verschärfende Inflationskrise des Jahres 1923 setzte diesen Bemühungen ein jähes Ende. Täglich stiegen die Preise ins Unermessliche. Das tägliche Leben fand unter surrealen Umständen statt. Ein Mitglied der „Ulmer Baugenossenschaft" wollte im Juli 1923 lieber seinen Hausrat mit einem Nachmieter tauschen, als zwei Millionen Mark an Transportkosten zu bezahlen. Die Oktoberausgabe der "Zeitschrift für Wohnungswesen" kostete 60 Millionen Mark. Übertroffen wurde dies einen Monat später vom städtischen Amtsblatt. Hierfür stellte die Stadtverwaltung 420 Millionen Mark in Rechnung.

Die Währungsreform mit der Einführung der Rentenmark am 20. November 1923 beendete den Spuk. Fast auf einen Schlag wich das Chaos einem geregelten Leben. Langsam konnte sich die Weimarer Republik stabilisieren. Bereits zwei Jahre später wurde die fünfte Ulmer Baugenossenschaft unter Vorsitz von Jakob Salzmann im Frühjahr 1925 ins Leben gerufen. Im Vergleich zu den anderen Genossenschaften tat sich diese von Anfang an schwer mit der Mitgliedergewinnung.

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