Wirtschaftswunder

Die Instandsetzung der beschädigten Immobilien schritt Ende der 1940er Jahre rasch voran und es konnten erste Überlegungen für Neubauten angestellt werden. Das Jahr 1950 bedeutete für die Genossenschaft das bisher größte Baujahr in ihrer Geschichte. 133 Wohnungen wurden im Frühjahrsprogramm erstellt. Außerdem konnten im Mai des Jahres 43 Wohnungen vergeben werden. Besondere Erwähnung fand, dass in zwölf Wohnungen „Neubürger“ einziehen konnten. Damit waren deutschsprachige Flüchtlinge und Heimatvertriebene gemeint. Franz Wiedemeier sah dies als Beitrag zur Integration derer, die ihre Heimat verloren hatten. Ihm war die gute Behandlung der Vertriebenen ein besonderes Anliegen. Viele hatten großes Leid erfahren und mussten sich in der Fremde ein neues Leben aufbauen.

Im Jahre 1951 beute die ulmer heimstätte erstmals auf dem Eselsberg. Dort wurden 20 Wohneinheiten speziell für Vertriebene errichtet. Ab 1954 erstellte die Heimstätte wieder Eigenheime. Die stabilen Baupreise ermöglichten diese Option. Von nun an wurden Kleinstwohnungen mit einem Zimmer und einer Wohnküche für Rentner, alleinstehende Frauen und Kriegerwitwen bei Neu- und Umbauten eingeplant. Ende 1954 hatte die Heimstätte über 400 Wohneinheiten mehr als vor den Zerstörungen.

Das Wirtschaftswunder veränderte das soziale Leben innerhalb der Genossenschaft. In den Aufbaujahren war der Mangel noch allgegenwärtig gewesen. Es war üblich gewesen, sich auszuhelfen, vor der Tür ein Glas Wein zusammen zu trinken und auf der Straße zu spielen. Der wirtschaftliche Erfolg ermöglichte es mehr und mehr Menschen, sich ein Auto zu kaufen oder in den Urlaub zu fahren. Die gemeinsame Zeit im Viertel wurde weniger. Auch die Ansprüche an den Wohnraum wuchsen in diesem Zuge. Der Aufsichtsratsvorsitzende Josef Kösler bemerkte in seinen Eröffnungsworten der Generalversammlung am 7. Juli 1959: „Wenn Sie aufmerksam die Jahre seit 1950 verfolgt haben, werden Sie festgestellt haben, daß erhebliche Anstrengungen gemacht wurden, um die Wohnkultur zu heben. Man hat versucht, den Wohnwünschen immer mehr Rechnung zu tragen und ihnen möglichst gerecht zu werden. Der Mensch wird heute in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Man muss mitansehen, wie der Mensch zum ruhelosen Wanderer geworden ist, den das Schicksal auf jede Art und Weise plagt (...) Gerade dieser Mensch gibt die Anregung, beim Wohnungsbau neue Wege zu gehen. Er war die Ursache, warum man nach der Insel im Grünen, nach der Oase der Ruhe ruft. (...) Ein Wohnhaus ohne Balkon und Bad ist heute verpönt." Ein bemerkenswertes Zeitdokument.

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